Wir erleben das goldene Zeitalter der Erdbeobachtung (EO). Deutschland plant neue Hochleistungsmissionen (wie Tandem-L) und die Sentinel-Satellitenflotte des europäischen Copernicus-Programms hat die Art, wie Erdbeobachtung betrieben wird, grundlegend verändert: Riesige Datenmengen stehen „free and open“ jedem zur Verfügung, die Erde wird kontinuierlich in fast allen nutzbaren Spektralbereichen erfasst, das Programm garantiert Datenversorgung bis mindestens in die 2030er hinein – all dies ist weltweit einmalig. Hinzu kommen Satelliten und Satellitenschwärme von sogenannten „New Space“-Firmen, die sich ebenfalls anschicken, die Erde kontinuierlich abzubilden. Damit ist die Erdbeobachtung in die Big Data-Ära katapultiert worden und neuartige Auswertealgorithmen werden benötigt – seien sie modellbasiert oder lernend.
Ziel der Forschungsvorhaben in diesem Leitthema ist es deshalb, Algorithmen zu entwickeln, welche die Chancen aus den aktuellen und zukünftigen Erdbeobachtungsmissionen ergreifen und deren Daten zu wertvoller Geoinformation und zu Wissen wandeln. Dazu müssen oft Daten aus verschiedenen Skalen, Sensoren und Spektralbereichen fusioniert werden. Ein prominentes Beispiel ist die geodätische Erdbeobachtung, in der die Schwerefeldbestimmung mit neuen Verfahren der Satellitengravimetrie mit höchstauflösenden interferometrischen und tomographischen Radarverfahren zusammengebracht wird. Auch in der bildgebenden Erdbeobachtung, z.B. zur Kartierung der Erdoberfläche, sind viele Fragestellungen erst durch Fusion von Daten unterschiedlicher Spektralbereiche, z.B. Radar, multispektral und hyperspektral, lösbar. Sogar Text- und Bild-Daten aus sozialen Netzwerken enthalten wertvolle Geoinformation, die gemeinsam mit Satellitendaten genutzt werden kann. Aber auch weitere Data Analytics-Verfahren werden in dieser Big EO-Data Ära benötigt, sei es zur massiven Rauschreduktion von Daten, zur Detektion von Veränderungen über lange Zeiträume hinweg, zur Detektion von Anomalien oder zum Aufspüren „versteckter“ Information in großen EO-Datenbeständen.
Die zu entwickelnden Verfahren und Algorithmen erfordern einerseits fundierte physikalische Modelle, können aber auch datengetrieben sein. Gerade die Künstliche Intelligenz (KI) mit maschinellem Lernen, d.h. mit tiefen neuronalen Netzen (Deep Learning), liefert aktuell die attraktivsten Ansätze für Detektion, Segmentierung, Klassifizierung, Objekterkennung, Fusion und Regression. So werden im Bereich der KI diese Verfahren sehr erfolgreich eingesetzt, so z.B. bei der automatischen Textübersetzung oder der Bildanalyse. Allerdings sind diese nicht direkt auf die Erdbeobachtung anwendbar, da hier meist geophysikalische oder geoinformatische Variablen mit wohlspezifizierten Unsicherheiten abgeleitet werden müssen. Darüber hinaus ist EO-Domänenwissen aus mehreren Jahrzehnten vorhanden und sollte nicht erst von einem Algorithmus erlernt werden. Zudem stehen in der Erdbeobachtung meist nicht genügend große Trainingsdatensätze zur Verfügung, um tiefe neuronale Netzwerke ohne Gefahr von „Overfitting“ zu trainieren. Es herrscht deshalb erheblicher Forschungsbedarf.
Die aktuellen und zukünftigen einschlägigen deutschen und europäischen Satellitenmissionen werden mit diesem Leitthema durch ein ihnen dediziertes Forschungsprogramm flankiert. Die Ergebnisse finden Eingang in Klimaforschung, der Erforschung der Physik der festen Erde, der Vorhersage von Naturgefahren, der Erfassung und Kartierung der weltweiten Urbanisierung einschließlich urbanem Risikomanagement und Stadtplanung.